Kolonialgeschichte in Deutschland - Kolonialschule Witzenhausen

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Kolonialgeschichte in Deutschland – die Kolonialschule Witzenhausen

Natürlich hat die Kolonialgeschichte auch in Deutschland seine Spuren hinterlassen. Ein Ort an dem der Kolonialismus aktiv geprägt wurde, war die Kolonialschule Witzenhausen. Hier wurden junge Leute ausgebildet, die später in landwirtschaftlichen Betrieben in allen Teilen der Welt arbeiteten. Es gibt Karten auf denen die Wanderungen der Schüler festgehalten wurden: Witzenhausen als Zentrum dieser Welt, mit Verbindungen nach Amerika, Australien, Asien und Afrika, hauptsächlich Deutsch-Südwestafrika. Gegründet wurde die Schule aus dem Kreis Industrieller und des evangelischen Afrika Vereins. Im Jahr 1898 wurde die Schule eröffnet und durch den Divisionspfarrer Ernst Albert Fabarius geleitet. Ein nationalistischer Direktor, der mit äußerster Strenge über die Schule herrschte. Der Verein stieß eher zufällig auf Witzenhausen, einer Kleinstadt, die zwar in der Mitte Deutschlands lag, aber doch ab vom Schuss war. Das Leitmotto der Schule: Mit Gott für Deutschlands Ehr, Daheim und überm Meer! Die Bedingungen in den Kolonien ließen sich aber nur schwer nachahmen, schließlich regnete es in Witzenhausen in einem Jahr mehr als in 100 Jahren in einigen Teilen Deutsch-Südwestafrikas.

Später wurde zudem die Frauenkolonialschule eingerichtet, als verzweifelte Antwort auf den überwältigenden Überschuss an Männern in den Kolonien. Die Hauptaufgabe der Kolonialschülerinnen sollte es werden, das Frauenvakuum zu stopfen und deutsche Siedler zu heiraten. Ähnlich wie bei den Männern, zielte die Schule auf bürgerlich Schichten ab, weil sie am besten befähigt wären die Männer „vor dem Herabsinken auf eine Eingeborenen nahe Stufe“ zu bewahren. Es lief jedoch nicht gut mit der Frauenkolonialschule, was auch daran lag das der Schulleiter Fabarius nicht viel Verständnis für die Frauen zeigte. Insgesamt absolvierten nur sechs Schülerinnen die einjährige Ausbildung. Bei den Männern waren es deutlich mehr und bis zum Ende der Kolonialschule 1956, hatten fast 2 000 Schüler die Ausbildung durchlaufen.

Spuren der Kolonialgeschichte

Heute hat Witzenhausen 14 000 Einwohner und das größte zusammenhängende Kirschenanbaugebiet Europas. Ansonsten ist nicht viel los in der Gegend. Der Region laufen die jungen Leute weg und Einfamilienhäuser gibt es schon zum Preis eines Neuwagens zu kaufen. In Witzenhausen ist das weniger zu spüren, denn die ehemalige Kolonialschule beherbergt einen Außenstandort der Universität Kassel, der Studenten in die Stadt zieht. Auf der damals so konservativ, nationalen Kolonialschule spazieren Studenten barfuß über den Campus. Junge Leute mit langen Haaren, genauso wie sich Fabarius, dessen Büste noch im Innenhof steht, die Zukunft nicht vorgestellt hat. Das linke Klima der Universität färbt erkennbar auf die Stadt ab. Witzenhausen ist Transitiontown und die Biotonne wurde hier erfunden. Es gibt aber auch das  andere, provinzielle Witzenhausen, das einen starken Gegensatz zur Uniatmosphäre bildet. Die Bierbörse steht direkt neben dem Bioladen.

Die greifbarste Hinterlassenschaft der Kolonialschule ist das Archiv. Teile werden in einem kleinem Völkerkundemuseum ausgestellt, wo sich die Schenkungen im vollgepackten Lagerraum stapeln. Darunter befand sich auch ein menschlicher Schädel aus Namibia, wie sich eher zufällig herausstellte. Im Kulturpionier, der Zeitschrift der damaligen Kolonialschule und den Schülerakten kann man es genau nachlesen: 1908 hat der ehemalige Schüler Harry von Schönermarck dem Schulleiter Fabarius den Schädel aus Deutsch-Südwestafrika mit einem kleinen Kärtchen mit der Aufschrift „anbei ein männlicher Hottentottenschädel“ geschickt, woraufhin sich Fabarius „für die freundliche Sendung“ bedankte. Zu dieser Zeit wurden an mehreren deutschen Universitäten Schädelsammlungen angelegt, die zu erheblichen Teilen aus Kolonien stammten. In den letzten Jahren wurden einige Schädel nach Namibia zurückgeführt, die entweder aus Konzentrationslagern oder Gräbern geraubt wurden und die man eindeutig zuordnen konnte. Und genau das ist eines der Probleme, denn trotz der Dokumentationswahns der Kolonialisten, weiß man häufig nichts über das Leben der Personen hinter den Überresten. So auch mit dem Schädel in Witzenhausen, dessen Hintergrund nun ein Gutachten klären soll. Wenn alles klappt, wird der Schädel noch dieses Jahr mit weiteren Überresten aus anderen Sammlungen nach Namibia überführt. Bis dahin lagert der Schädel im Büro des Deutschen Instituts für Tropische und Subtropische Landwirtschaft, im Eck des Vorzimmers in einem alten Safe, der ebenfalls noch aus dem Bestand der Kolonialschule stammen könnte.

Lüderitz

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